Liebesmystik |
Ich hatte den Brunnen gefunden. Ihn zu suchen war der Beginn meines Weges und das, was er mir versprach, das Lockmittel um mich mit Ausdauer und Eifer auf dem Weg zu halten. Ich versprach mir durch ihn Erleuchtung, ein vollendeter Weiser zu werden, der über der Welt steht, hoch über den Wolken des dunklen Alltaglebens.
Ich hatte den Brunnen schon vor einiger Zeit gefunden, aber er interessierte mich nicht mehr. Jetzt bekam ich sogar durch Tara Gewissheit ihn gefunden zu haben, aber er interessierte mich nach wie vor nicht. Das, was ich am Anfang in ihm sah und mein Ziel war, erschien mir nunmehr schal verglichen zu der Liebe Taras. Was soll ich mit Erleuchtung? Nunmehr, wo ich so viel in meinem Leben erlernt hatte, weiß ich nicht einmal was Erleuchtung ist. Nicht nur das, ich verschwende nicht einmal meine Gedanken daran. Was ich haben will, ist ein Verschmelzen mit dem Leben in Liebe. Es schwankt zwischen nur erahnten Miterleben, bis zu kurzen Augenblicken der Einswerdung. Es erfasst alles Leben, ob organisch "hoch" oder "nieder" entwickelt. Was jedoch der Verstand unterscheidet, ist im Herzen gleich.
Natürlich verwerfe ich nicht den Brunnen im mystischen Herzen – das mystische Herz liegt in der Mitte der Brust und nicht dort, wo das physische Herz schlägt. Es ist ein heiliger innerer Raum, in dem ich Tara fühle. Wenn ich da hinein lausche, erfühle ich ihre Gegenwart. Sie ist in mir, schaut durch meine Augen und begleitet mich in meinen Handlungen. Sie wirkt noch nicht durch mich. Das wäre schön, denn dann gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen ihr und mir. Aber so weit bin ich noch nicht. Ich strebe es auch nicht krampfhaft an. Es soll wachsen, wenn es wachsen will.
Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf jenen inneren Ort richtete, half mir dies mich in die Verbindung mit Taras göttlichem Wesen einzustimmen. Dann merkte ich, dass Devi aufmerksam an meinen Alltagshandlungen teilnahm. Sie war dabei, wenn ich den Meisen Sonnenblumenkerne ins Häuschen gab, sie nahm alle meine Gefühle und Eindrücke in sich auf, wenn ich den Garten betrachtete. Im Gegenzug wurde für mich alles ein wenig schöner. Ebenso war Devi aufmerksam dabei, wenn ich das Kistchen von Kater Schnurrli hoch hob und hinaus trug zum Reinigen. Ihr war keine Tätigkeit zu gering. Sie nahm alle meine Eindrücke mit einer gewissen Neugier und hohen Aufmerksamkeit in sich auf. Es schien so als wäre ihr die Welt vertraut, aber die Welt wie ich sie sah, für sie völlig neu. Ich meinerseits, der ich merkte mit welchem Interesse alles was ich tat aufgenommen wurde, bemühte mich aufgeschlossener und liebevoller zu sein. Liebevoller zu sein fiel mir nicht schwer, denn ich fühlte die Liebe zu Tara oder ihre Liebe. Ja, wenn die Liebe sehr stark war, konnte ich nicht mehr den Ursprung der Liebe unterscheiden, ob ich Taras Liebe oder meine eigene Liebe fühlte.
Es gab für mich keinen Ursprung der Liebe mehr im Sinne von Ich und Du. Das verwirrte mich zunächst. Deshalb stellte ich ihr diesbezüglich die Frage und sie gab mir folgende bildhafte Antwort, die ich mich hier zu übersetzen bemühe: "Wenn sich zwei Magneten einander nähern, bildet sich zwischen ihnen eine starke Anziehungskraft. Du kannst nicht unterscheiden, ob diese Kraft von dem einen Magneten oder dem anderen stammt. Es sind beide Magneten, die in Einklang diese Kraft erzeugen. So ist es auch mit der Liebe zwischen Dir und mir."
Bei dieser symbiontischen Wahrnehmung der Welt von mir, und der in bewusster Aufmerksamkeit teilnehmenden Devi, gab es auch eine Art Absprache – sie wurde mir nicht direkt mitgeteilt, dafür war Devi viel zu dezent, sondern ich erfühlte es, wusste es einfach: wenn ich Devi an meinen Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken teilnehmen ließ, so durfte ich ihr hierbei nicht weh tun. Ein jeder Verstoß gegen die Liebe schmerzte sie. Eine jedes negative Gefühl wie Unzufriedenheit oder Ärger war wie eine dunkle Wolke, die ich ihr entgegen brachte. Ich konnte ohne weiteres Zeitung lesen oder Fernsehen und die üblichen Berichte über Ungerechtigkeiten und Gräueltaten der Menschen aufnehmen. Ich durfte jedoch hierbei nicht in Zorn reagieren, sondern nur in Form von Einfühlung sowohl in die Täter als auch in die Betroffenen.
Das Empfinden von Taras Nähe und Liebe trieb mich zu höherer Verantwortung. Ich musste mich bemühen "positiv" wahrzunehmen, zu fühlen und zu denken. Das erforderte einige Konzentration, aber nicht so viel als früher, da ich gegen mein Naturell aus dogmatischer Sichtweise das "Böse" unterdrückte und "gut" sein wollte.
Merkwürdig, wie lange hatte es gedauert, bis ich endlich begriff, was mir Tara-Devi schon vor langer Zeit mitzuteilen versuchte, als sie mit mir gemeinsam bei einer Astralreise an den Blumen roch – und eben dadurch zeigte, dass sie nicht an üblicher Frömmigkeit interessiert war, sondern an einem gemeinsamen Leben mit mir, mit liebevoller Zuwendung an allen kleinen und großen Dingen des Alltags.
Nicht Anbetung, sondern liebevolle Teilnahme an meinem Leben wollte Devi – aber ich begriff es damals noch nicht.
Liebe ist das höchste Gut. Die Lebensgeschichte von Kukkuripa ist ein Zeugnis hierfür. Kukkuripa ist einer der 84 tantrischen Mahasiddhas des tibetischen Vajrayana. Hier die Geschichte von Kukkuripa:
Kukkuripa und sein Hund
Während seiner Wanderungen durch Indien erblickte Kukkuripa eine halb verhungerte Hündin, die sich in einem Gesträuch verkrochen hatte. Der flehende Blick der Hündin erweckte das Mitleid von Kukkuripa und er nahm die Hündin zu sich. Er teilte das Essen mit ihr und beide waren fortan unzertrennlich. Wo immer Kukkuripa war, ob er meditierte oder sich auf Wanderung befand, die Hündin war immer als treue Begleiterin an seiner Seite. Als Kukkuripa eines Tages eine geeignete Höhle fand, die zum Wohnen einlud, blieb er dort und widmete sich seiner spirituellen Vervollkommnung.
Die Jahre vergingen, zwölf Jahre waren es nun, als die Bewohner der 33 Himmel auf ihn aufmerksam wurden. Sie luden ihn ein in den Himmel zu kommen. Kukkuripa willigte ein. Sie gaben ihm zu Ehren Feste und versuchten ihn zu verwöhnen. Doch Kukkuripa interessierte das alles nicht, denn in seinen Gedanken war er bei seiner Hündin. "Ohne meine Hündin kann ich hier nicht glücklich sein", teilte er mit. Als die Himmelswesen meinten, dass eine Hündin im Himmel nicht zugelassen sei, erklärte er, dass dann der Himmel für ihn kein Ort des Bleibens wäre und er zurück zur Erde zu seiner Hündin wolle. Niemand konnte ihn mehr im Himmel halten und er kehrte zur Erde zurück.
Traurig und abgemagert fand er dort seine Hündin. Als sie ihn sah sprang sie ihm überglücklich in die Arme. In der weiteren Geschichte verwandelte sich die Hündin in seine Shakti, seine mystische Gefährtin, und half ihm die letzten Stufen der Vollendung zu erreichen. Kukkuripa wirkte bis in ein hohes Alter zum Wohle der Menschen. Bis in die heutige Zeit werden seine Lieder gesungen. Eines seiner Lieder will ich hier bringen. Es ist für mich von tiefer Weisheit geprägt.
Oh wie fern ist doch Buddha all jenen,
die sich um inneren Fortschritt mühen und plagen!
Wie sinnlos sind auch Rituale und Opfer.
(Weil das Ich es ist, welches all das anstrebt!)
Dann, wenn Buddha gegenwärtig ist,
und die Begnadeten sich selbst vergessen im Glück,
werden sie es dann überhaupt erkennen?
(ohne Ich, das darüber reflektiert?)
Kukkuripa und sein Hund