Liebesmystik |
Als ich längere Zeit keine weitere Begegnung mit Tara hatte, fühlte ich mich immer stärker verstoßen. Mein Andachtsritual bestand aus einem täglichen Selbstbedauern, gemischt mit verbalen Anklagen und Vorwürfen an Tara. In meinen Anklagen war kein Respekt und keine ehrfürchtige Distanz. Es war ein ungehobeltes Benehmen gegenüber einem Wesen, das als göttliche Manifestation so weit über mir stand. Ich sprach zu Tara als wäre sie meine Geliebte, auf deren Nähe ich ein Anrecht hätte.
Es gab die Möglichkeit einer innerer Zwiesprache, so fein, wie feinste, flüchtige Gedanken. Damit allerdings gab ich mich nicht zufrieden, suchte nicht einmal diesen Kontakt, sondern zog mich schmollend zurück. Ich wollte sie sehen, ihre Liebe fühlen, ihre Worte hören. Das Feine war mir zu wenig, es erforderte Konzentration und wühlte nicht meine Emotionen auf wie eine astrale Begegnung. Wenn ich jedoch besser im Gleichgewicht war, wendete ich mich auf diese Art Tara zu. In einer dieser Zwiesprachen bekam ich folgende Antwort:
"Die Art einer körperlichen Liebesnähe wird den Menschen schon in der Wiege gegeben. Ein jedes Kind liebt seine Mutter und wird von ihr geliebt. Willst du mich, die allgegenwärtige Allkraft in die Materie herabziehen? Willst du mich, die ich gleich dem Wind all die Tiere, Bäume und Menschen in ihrer Liebe umspiele, in das Gefängnis eines Körpers ziehen?"
Als du noch ein Kind warst habe ich dir mit den Augen deiner Mutter zugelächelt
Schmollend erwiderte ich: "Anderen erscheinst du auch, warum mir nicht?"
Wieder hörte ich innere Worte, leicht mahnend, so fein, dass sie kaum von meinen eigenen Gedanken unterscheidbar waren: "Ich bin in allem, im Schmetterling, Käfer, der Rose, dem Baum und in den Menschen, deren Not und Freude ich teile. Lerne mich in der Welt um dich erfühlen. Lerne all das Leben um dich zu lieben."
Es war mir nicht recht, was ich hörte. Zu schön war mein Traum. Ich stand auf und beendete die Zwiesprache und setzte mich zum Computer. Ich war unglücklich. Zur Ablenkung stöberte ich auf meiner Festplatte herum. Ich sah mir meine Gedichte mit den dazugehörigen Zeichnungen an. Der Blick auf meine "Leistungen" hatte schon oft einen tröstenden Effekt und das konnte ich jetzt brauchen. Nachdem ich so etwa drei Gedichte von mir gelesen hatte, stieß ich auf folgende Zeilen:
Der Rat
(Frage an die jenseitigen Helfer)
„Helft, ich brauche euren Rat“,
so schallt mein Ruf hinauf in Himmels Höhn.
Es bleibt nicht ungehört mein Ruf;
wartend schon steh’n hohe Geister,
ich fühl es klar, um mich im Kreis,
lauschend meinem Begehren.
„Was soll ich tun, frag ich.
Was hab’ ich falsch gemacht?“
Doch Stille herrscht!
Noch mal stell ich meine Frage.
„Lausch in die Stille“, hör ich,
„in dir ist schon die Antwort,
du brauchst nicht unseren Rat.“
Widerwillig wende ich mich ab.
Das innere Wissen war mir nicht recht.
Ich hoffte mich zu irren, deshalb der Ruf,
was ich wünschte, wollt ich hören,
und nicht was meine innere Stimme sagte.
Ich verstand den ungefragten Fingerzeig, ließ den Computer hinunter fahren und legte eine Musik CD auf. Statt mich in die Musik zu vertiefen grübelte ich jedoch weiter.
Was sollte ich tun? Wie könnte ich die Chance einer Begegnung bei einer Astralreise erhöhen? Würde das wirklich etwas bringen? Das Bild einer vergangenen Astralreise tauchte in mir auf:
Ich verließ den Körper und hatte das Empfinden den Zustand nicht lang genug aufrecht erhalten zu können. Deshalb eilte ich so schnell ich konnte die Straße entlang, zu einer Kirche hin, um vielleicht dort die Himmelsmutter anzutreffen - oft schon hatten sich Bilder und Statuen in astralen Kirchen belebt. Da hörte ich laut die Stimme: "was suchst du mich, ich bin überall".
Missmutig stellte ich fest, dass was immer ich versuchte, ich immer wieder am selben Punkt anlangte: Die Göttin, Tara-Devi ist überall, deshalb soll ich sie auch in allem empfinden. Dass das Göttliche in allem präsent ist erlebte ich schon mit 16 Jahren. Ich löste mich damals gleichsam im Sternengefunkel des Weltalls auf. Mittlerweile wusste ich auch, dass diese Einheitszustände, verbunden mit Euphorie nicht permanent im Gehirn aufrecht erhalten werden können und notwendigerweise vom Gehirn ein Gleichgewicht gesucht wird, das ein Mystiker als großen Katzenjammer erlebt. Euphorische Zustände, wenn man hiervon abhängig geworden ist, verhalten sich als eine endogene Sucht mit ständigem Auf und Ab.
Ich wollte nicht kosmisches Einssein, das mit Euphorie verbunden ist, sondern Liebe. Ich wuchs in einer Gärtnerei auf. Krabbelte als Kleinkind zwischen den Baumreihen, bestaunte einige Jahre später die Rotbauchunken in der Wassertonne, kletterte auf dem haushohen Strohhaufen herum. All das Leben dort umgab mich ab der Wiege. Ich war in üppigem Leben eingebettet und musste mich nicht mit Asphaltspielen, mit Himmel-Hölle-Hüpfen oder dergleichen begnügen. Ich lernte die Natur lieben. Diese Liebe steigerte sich später durch Meditationen und gelenkte Aufmerksamkeit im Yoga. Wenn ich genügend tief in dem Zustand der Liebe war, erglühte mein Brustkorb in Hitze, welche bis in die Kehle empor strahlte. Dann war es mir, als ob ich mich mit Tara-Devi oder Shiva gemeinsam an der Schönheit und dem Leben erfreute.
Ja, es stimmt, wenn wir ein Auge für die uns umgebenden Wunder und Schönheiten entwickeln, dann erkennen wir wie sich das göttliche Bewusstsein in allem findet. Es gibt dann kein Groß und Klein, sondern alles ist wunderbar. Allem wird unendlich große Liebe entgegen gebracht.
Da fallen mir die Worte einer mir bekannten Yogini ein:
In mir wird alles still
und Frieden strömt in meine Seele.
Meine Freude dehnt sich aus
auf alles, was mich umgibt,
auf jeden kleinen Gegenstand
und noch weiter hinaus über das Land,
die geliebten Bäume, über die weiten,
vom Schnee bedeckten Felder.
Stille Freude erfüllt meine Seele
und mein Herz beginnt
wieder zu singen.
(anonym)
Ja, diese Yogini macht es gut. Was sie beschreibt ist eine stille, alles erfüllende Liebe. Genau das möchte ich, aber sehr intensiv, so intensiv, dass es nicht mehr still ist, sondern mein Herz die Liebe in die Welt hinaus schreit. In Liebe zu Tara natürlich, zur Natur habe ich sie ohnedies.
Wieder grübelte ich und suchte in Schriften nach etwaigen Hinweisen. Vielleicht bot der Tantra eine Lösung, denn anscheinend hatte er Möglichkeiten gefunden dieses Dilemma zu überwinden. Ich sah mir das genauer an. Etliche der Methoden erfüllten nicht die von mir festgelegten ethischen Prämissen. Andere Praktiken sind in unserem Kulturkreis und unserer Gesellschaft undurchführbar und pflanzliche Drogen kommen erst recht nicht in Frage.
Es gibt Praktiken, Gottheiten in dieser irdischen Welt stärker erfühlbar zu machen. Ich habe mir die Praktiken angesehen. Pure Magie stieß mich ab. Sie baut auf Zwang und Macht auf. Candomble und Ubanda sind auch nicht viel besser, auch hier versucht man Gottheiten durch Rituale dienstbar zu machen. Der Hinduismus ist in manchem dem Candomble ähnlich. Auch hier wird versucht durch Rituale (Pujas) die Kraft einer Gottheit in eine Statue zu binden, Murthi heißt dann die solcherart belebte Statue. Eigentlich macht dies jeder gläubige Mensch, aber wenn es unbeabsichtigt durch Andacht und Gebet erfolgt, dann ist es ein reines Vorhaben. Die Handlung ist reinen Herzens und es steckt nicht die Absicht dahinter von der gebannten Kraft Gebrauch zu machen.
All die genannten Methoden und auch andere ließ ich vor meinem inneren Auge Revue passieren. Ich schauderte. Sollte ich in meiner Sehnsucht ebenfalls so tief herabsteigen um Tara in das irdische Kraftfeld zu ziehen? Wie groß müsste da mein Egoismus und wie klein meine Liebe sein! Und das alles unter dem Deckmantel einer liebevollen Begegnung.
Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf: Tara unter Kindern und offen und ehrlich so wie Kinder sind oder sein sollten.
Gerührt vom inneren Bild und der Liebe zu Tara schrieb ich:
Mahadevi ist meine Gefährtin.
Sie umhüllt mich mit ihrem Mantel der Liebe.
Mit ihrem glühenden Liebesstrom,
wärmt sie mein Herz,
erfüllt mich mit Freude und Glück,
lässt mich göttliches Leben erkennen in allem,
in Pflanzen, Tieren und Menschen.
Vor meinem inneren Auge tauchten die Menschen in der U-Bahn auf, wie ich sie unbemerkt, jedoch aufmerksam betrachtete, versuchte ihre Lebenslage zu ergründen, Glück und Unglück. Bei manchen unter ihnen geschah es, dass ich in ihrem Antlitz nicht den jetzigen Menschen sah, sondern den vollendeten Menschen aus der Zukunft, der nun gegenwärtig am Erwachen war. Und so schrieb ich weiter:
Alles Leben gleicht einem Spiegel,
in dem ich Dich sehe, geliebte Mahadevi;
es trägt den Glanz Deiner glühenden Liebe.
Blick ich in das Antlitz eines Menschen,
so leuchtet mir seine Vollendung entgegen,
sein zukünftiges Wesen,
ein Antlitz geformt von Deiner Liebe.
Ja, Du Mahadevi bist es,
die ich in allem sehe!
Tara-Devi