Liebesmystik |
Mehr und mehr wurde mir klar: Ich wollte nicht in einer kosmischen Alleinheit aufgehen, dieses ersehnte Ziel der Vollendung, wie es von allen Yogis der Welt angestrebt wird.
Ich will mich nicht selbst vergessen! Ich will mich erleben und vollenden in der Liebe zu Tara oder Devi, wie ich sie manchmal liebkosend nenne. Erst wenn ich mit IHR eins bin, IHRE Liebe meine Brust erglühen und erbeben lässt, dann erst will ich mich vergessen, mich vergessen um SIE zu sein. SIE will ich sein und nicht der Kosmos.
Mag sein, dass ein in den tantrischen Schriften Belesener darauf hinweisen mag, dass Mahadevi oder Tara kein körperliches Wesen sei, sondern identisch mit dem Kosmos ist. Das stimmt wohl, aber so ganz kann man beide Sichtweisen nicht voneinander trennen. Ramakrishna sagte einmal: Es ist wie die zwei Seiten einer Münze. Sie sind unterschiedlich in ihrer Prägung und dennoch sind sie eine Münze. Eine Münze wird immer zwei Seiten haben.
Ich las einmal, dass das formlose, göttliche Bewusstsein einem sich sehnendem Menschen zuliebe Gestalt annehmen kann, etwa so wie ein Salzkristall in eine Salzsohle sich bilden kann - ein gestalteter Festkörper aus der formlosen Flüssigkeit. Tara hat keinen Körper, wie könnte sie auch, wo sie allgegenwärtig ist. Dennoch, mir zuliebe hat sie einen Körper gebildet, und das nicht nur ein mal. Bei jeder Begegnung fühlte ich eine unsagbar süße Liebe. Ja diese Liebe will ich. Ich bin süchtig nach dieser Liebe geworden, und verzichte ihretwegen auf die im Yoga angestrebte Erlösung.
Wie geht die Geschichte nun weiter?
Ja, Sie haben es erraten: wieder haderte ich mit Tara, klagte sie innerlich an, weshalb sie nicht bereit ist mir zu erscheinen. Natürlich meine ich damit nicht gelegentlich erscheinen, damit ich weiß, dass es sie gibt oder sie mich nicht vergessen hätte. Das war ja ohnedies der Fall. Nein, ich wollte, dass sie mir täglich erscheinen möge!
Wieder hatte ich ein Erlebnis. Nach einem kurzen Schwellenzustand, fand ich mich von einem Augenblick zum anderen in einem von Gärten durchwobenem Randbezirk einer unbekannten astralen Stadt. Langsam schritt ich die Hausreihen entlang mit bewundernden Blicken zu den schönen Vorgärten. Mit vollem Interesse betrachtete ich die Pflanzen, war interessiert zu sehen, welche Arten hier wuchsen und wie ihre astralen Gegenstücke sich verändert hätten. Die Pflanzen erweckten einen gewohnten Eindruck, allerdings waren die Blüten besonders groß und üppig. Wohin man blickte waren Blumen, leuchtend in allen Farben. ein entzückender Anblick.
Ich schritt gerade einen Vorgarten entlang, eingesäumt von einem zierlichen Eisengitter, das der Schönheit der Gärten entsprach und aus metallenen Ranken, Blättern und Blüten bestand. Da kam aus dem Haus eine junge Frau, öffnete die Gartentüre und gesellte sich mir zu. Sie war mir ungemein vertraut, so als würde ich sie schon seit Ewigkeiten kennen. Es schien keine Geheimnisse zwischen uns zu geben, als wären wir ein und dieselbe Person in zwei Körpern.
Wir nahmen uns bei der Hand und schritten die Gärten weiter ab. Mein Empfinden und meine Wahrnemung waren jedoch ab nun nicht wie zuvor. Etwas hatte sich verändert. Wenn ich jetzt eine Blüte betrachtete, so war mir, als sähe ich mit dieser einen Blüte alle Blüten der Welt. Eine jede Blüte, ein jedes Blatt war wie ein Tor zu der unendlichen Vielfalt von Seinesgleichen. Zugleich war die Luft von Liebe erfüllt, die alles miteinander verwob und ein einziges pulsendes Leben erfühlen ließ, das all diese Schönheiten in sich trug. Ich war mit allem eins - so wie ich es auch mit meiner Geliebten war.
Ich betrachtete die Blüte und alle Blüten der Welt waren mir gegenwärtig
In diesem zeitlosen Glück hätte ich ewig bleiben können. Leider fand ich mich irgendwann in meinem materiellen Körper wieder. Er erschien mir wie ein Gefängnis und Einsamkeit umgab mich. Ich wusste, niemand würde mich verstehen, niemand konnte mir so nahe sein wie meine unbekannte Geliebte, mit der ich eins war und mit ihr mit der ganzen Welt.
Nach dem großen Glück meiner Begegnung mit ihr und der überwältigenden Liebe, die sie vermittelte, erschien mir die darauffolgende Zeit ohne weiteren Begegnungen leer. Der Alltag wurde für mich trostlos. Wieder und noch stärker als zuvor haderte ich mit Tara, weil sie sich vor mir verbarg. Sie war mir in dieser wunderschönen Astralreise abermals erschienen, aber ich war nicht zufrieden, sondern noch unglücklicher. Sie fehlte mir. Mein Hadern ging sogar so weit, dass sogar meine innere Verbindung zu ihr gestört war. Selbst das warf ich ihr vor. Retrospektiv denke ich mir: es muss Tara traurig gemacht haben. Sie wollte mir helfen und statt dessen verdüsterte sich mein Gemüt aus dem Bedürfnis noch mehr zu bekommen.
In einem stillen Augenblick sagte sie mir: "Ich bin ja immer bei Dir. Es gibt keinen Augenblick an dem ich nicht bei Dir wäre. Aber Du hast dich so verdunkelt, dass Du mich nicht mehr wahrnehmen konntest".
Und sie zeigte mir ein Bild. In goldenem Lichterglanz stand sie vor einem Spiegel. Der Spiegel hatte die Färbung meines Gemütes. Es war der derzeitige Zustand meiner Seele, in dem ihr Abbild durch die Farbe des Spiegels verdunkelt wurde.
Deine Seele ist wie ein Spiegel. Ich bin immer gleich, aber mein Bild kann durch den Spiegel Deiner Seele verdunkelt werden.
Glauben Sie ja nicht, dass mir nach diesen begütigenden Worten ein Licht aufgegangen wäre und ich mich zusammen gerissen hätte! Nichts dergleichen. Ich haderte weiter wie zuvor.
Ich suchte Trost bei den Liedertexten von Akka Mahadevi und Mira Bai. Es gab mir Trost auch andere jammern zu hören. Zugleich besagten mir jedoch die Texte, dass das göttliche Allbewusstsein uns durchaus in menschlicher Erscheinung begegnen könne. Die Bestätigung einer solchen Möglichkeit gab mir Nahrung und Argumente, um weiter hadern zu können.
64.
O Herr! Wohin bist Du verschwunden,
Nachdem Du Liebe in mir erweckt hast?
Verlassen hast Du mich, Vertrauensbrecher!
Verlassen – zuvor entfachtest Du aber die Liebesflamme!
Erst ruderte er mit mir auf dem Liebesboot,
Dann ließ er mich zurück im Einsamkeitsozean!
O Herr! Wann sehe ich Dich?
Unerträglich ist’s ohne Dich!
aus dem Rajasthani übertragen von Shubhra Parashar: ISBN 3-935727-09-7
Ebenfalls von Mira Bai:
101.
Geliebter, so komme doch und zeig Dich mir,
Ohne Dich kann ich nicht leben.
Wie der Lotos ohne Wasser und die Nacht ohne Mond,
So bin ich ohne Dich, dürstend nach Liebe.
Leidend, ruhelos verbringe ich die Nächte,
Die Trennung zerfrisst mein Herz.
Weder Appetit am Tag noch Schlaf in der Nacht,
Die Zunge versagt mir eine gehobene Rede.
Wem kann ich mein Herz ausschütten?
Mein Liebster, lösche meinen Durst in der Vereinigung!
Warum quälst Du mich, mein Gott, mein
Innerer Lenker?
Komm doch, in der Vereinigung mit Dir
Verfliegt mein Leid!
Mirabai ist Deine Dienerin seit Geburten,
Seit Geburten liebt sie Dich.
aus dem Rajasthani übertragen von Shubhra Parashar: ISBN 3-935727-09-7