Liebesmystik |
Ich bemühte mich früher in eine innerer Stille einzuschwingen und mich mit Tara zu verbinden. Tara, die Himmelsmutter, Tara, die alles beseelende kosmische Lebenskraft. In der Natur fühlte ich am ehesten ihre Nähe. Es dauerte viele Jahre bis ich sie überall durch Innenwendung erfühlen konnte, nicht nur in der Natur, sondern auch im Alltag, wenn nicht zu starke Ablenkungen vorlagen. Damals aber, um den Prozess der inneren Wahrnehmung zu starten, war es von Vorteil, durch die gleichmäßigen Schritte und Atmung beim Spazierengehen eine leichte Trance zu erwirken. Es half mir zur Ruhe zu kommen und eine gute innere Verbindung aufzubauen. Wenn ich mich gut einstimmen konnte, begann ich die Welt in veränderter Art wahr zu nehmen. Die Welt um mich wurde irgendwie leuchtender, plastischer. Alles bekam für mich eine Aussage, Bisweilen war diese von symbolischer Natur, indem das, was ich erblickte, mir etwas über mich und mein Leben, oder über die Welt gleichnisartig mitteilte. Oft auch hob sich die Individualität hervor. Ein Grasbüschel war dann nicht mehr ein Teil eines grünen Teppichs, der gleichmäßig die Landschaft bedeckte. Nein, das Grasbüschel war plötzlich ein eigenständiges Individuum, das sich sein Leben im Kampf mit der trockenen Erde des Weges tapfer erkämpfte. Immer wieder wurde es niedergetreten oder von schweren Traktorrädern nieder gedrückt und dennoch erhob es sich von neuem dem Licht zu. Konnte ich denn hiervon nicht lernen, mit gleicher Beharrlichkeit mein spirituelles Leben erkämpfen? Waren all diese kleinen Geschwister am Wege nicht Vorbild für mich?
Die Zustände, die ich durch innere Verbindung zu meiner Umwelt erlangte waren schön und ich lernte viel dabei. Dennoch war ich nach einiger Zeit unzufrieden. Das kam so:
Mitten in dem Hochgefühl den Weg klar vor mir zu sehen, las ich aus reinem Zufall - wollen wir es der Einfachheit als Zufall bezeichnen - einige Liedertexte von Akka Mahadevi. Ich stieß darauf, als ich mir zum Zeitvertreib Texte und Bilder von Tara als Himmelsmutter Mahadevi suchen wollte. Ich las ihre Liedertexte, las ihre Biographie und sah mir Bilder an, die sie darstellen sollten.
Hier eines der Lieder von ihr:
Ich liebe den stattlichen Einzigartigen,
der den Tod nicht kennt
und auch nicht den Verfall,
der an keinen Ort gebunden ist,
der ohne Anfang und ohne Ende ist.
Höre! Ihn, meine Mutter, liebe ich!
Ich liebe den schönen Einzigartigen,
der an nichts gebunden ist und keine Furcht kennt,
den kein Klan und kein Land bindet,
der grenzenlos frei ist,
und dessen Schönheit alles überragt.
Du bist mein Gatte, oh Herr, weiß wie Jasmin.
Mutter, behalte dir jene Männer die sterben,
die vom Alter verfallen und ernähre Du sie,
an deinem Herd in der Küche.
Die indische Asketin (Saddhvi) Akka Mahadevi.
Ihre einzige Kleidung war die Asche. Sie lebte in absoluter Besitzlosigkeit.
Ein weiterer Liedertext von Akka Mahadevi:
Ich las die Liedertexte von Akka Mahadevi, weil sie mir gefielen. Ich bewunderte Akka Mahadevis Leben und ihre Heiligkeit. Allmählich jedoch begannen die Liedertexte eine unerwartete Wirkung zu entfalten. "Ich dachte das Ziel der Yogis und Yoginis sei die Vollendung im Aufgehen in der göttlichen Alleinheit, dem Einswerden mit dem Kosmos, so wie ich es in meinen Praktiken zu verwirklichen versuche. Bei Akka Mahadevi ist keine Spur hiervon zu sehen. Das sind Liebeslieder zu Shiva. Shiva ist eindeutig ihr Geliebter. Es ist eine erotische Beziehung, die beschrieben wird. Das kann doch nicht wahr sein! Wie kann eine Saddvi mit solcher Einstellung als Heilige gelten?"
Das war meine erste Reaktion - pure Verwirrung. Allmählich wurde die Verwirrung durch eine zweite Reaktion abgelöst – die Erinnerung an Tara als ich ihr damals in der blauen Jurte begegnete, wurde immer intensiver und meine Sehnsucht nach einer neuerlichen Begegnung mit ihr wuchs ins Unermessliche. Warum konnte sie denn nicht auch meine Geliebte sein, so wie Shiva zu Akka Mahadevi. Warum nahm sie nicht auch für mich Gestalt an?
Oh mein geliebter Gott wie weißer Jasmin,
wann bin ich mit dir eins,
und habe ich meine Körperscham abgeworfen,
um mit reinem Herzen dir hingegeben zu sein?
(Akka Mahadevi)