Liebesmystik |
Ich befand mich am Tunnelausgang vor einer endlos weiten Grassteppe. Zwischen den Steppengräsern, deren weiß leuchtenden Samenfäden sich im Wind wiegten und die Steppe wie ein Meer erscheinen ließen, standen in den sanften Silberwellen sperrige Grasbüschel, die mit ihren braunen Endständen sich dem Sonnengold anglichen. Es war schön auf dem Rücken des Pferdes den erweiterten Horizont genießen zu können, mit einem endlos weiten Blick bis zu jener magischen Grenze an der Himmel und Erde verschmolzen.
Die Gräser wiegten sich im Wind wie silberne Wellen
Ich hatte kein Ziel, also ließ ich mein Pferd laufen wohin es wollte. Zügel hatte ich ja ohnedies nicht und auch keinen Sattel, um das Pferd auf übliche Art in eine Richtung zu zwingen. Ich hätte das Pferd in meinen Gedanken bitten können, ja, das wäre möglich gewesen, ich hatte es schon oft getan.
Mein Pferd und ich genossen den Ritt. Anscheinend hatte ich hier kein Gewicht, das schwer auf seinem Rücken lasten würde. Statt dessen fühlte es meine Liebe und Vertrautheit und auch ich die seine. Das genossen wir. Wir waren Freunde und nicht Herrscher und Untertan. In weiten Schwebesprüngen, glitten wir über das silbrige Meer der Gräser. In der Ferne waren sanfte Hügel. Einem von ihnen kamen wir rasch näher. Er war nicht höher als der Giebel eines Hauses und lag am Rand eines sanft geschwungenen Tales. Die Hänge des Hügels waren mit roten Blumen bewachsen, Mohnblumen, wie sich später zeigte. Die roten Blumen wuchsen nicht in wilder Anordnung, sondern bildeten ein Gemälde, das den Blütenblättern eines Lotus glich. Dadurch erweckte der Hügel den Anschein als wäre er eine große entfaltete Lotosblüte. Oben auf dem Hügel, in der Mitte der kunstvollen Lotusblüte stand eine blaue Jurte.
Bald waren wir dort. Mein Pferd blieb stehen und ich stieg ab. Ehrfurcht erfüllte mich. Alles hier schien Erhabenheit und Liebe zu atmen. Unschlüssig blieb ich stehen, meinen Blick zur blauen Jurte erhoben. Blau wie der Himmel war sie und von den Knoten des kunstvollen Netzes der Schnüre blinkten goldmetallene Sterne. Ich wagte nicht mit meinen unheiligen Füßen den geheiligten Boden des Hügels zu betreten. Ich kniete nieder, faltete meine Hände, berührte mit ihren Spitzen meine Stirne und neigte mich tief zum Boden. Lange berührte ich diesen mit meiner Stirne. Dann erhob ich mich und fasste den Mut hinauf zur Jurte zu gehen. Mein Windpferd wurde von höheren Kräften gelenkt, dessen war ich mir sicher. Es war kein Zufall, dass ich hierher gebracht wurde und ich war mir somit sicher als Gast willkommen zu sein. Andernfalls hätte ich den Hügel auch nie gefunden und wenn ich ihn monatelang gesucht hätte.
Vorsichtig setzte ich meine Füße auf den Boden, um nur ja keine der Blumen zu zertreten, und klomm in unregelmäßigen kleinen und großen Schritten vorsichtig den Hügel empor. Dann stand ich vor dem Eingang, einer hölzernen Tür mit fein geschnitzten Ornamenten. Wieder zögerte ich. Dann öffnete ich die Türe und trat ein.
Die Jurte war erfüllt vom Duft von Räucherwerk. Gegenüber vom Eingang saß auf zwei dicken Polstern eine Frauengestalt. Von der kreisrunden Öffnung der Giebelmitte der Jurte fiel ein breiter goldener Lichtstrahl auf die Gestalt und ließ diese sich in der fahlen Dämmerung der Jurte hell hervorheben. Gesicht und Arme waren von einem Goldschimmer überzogen und ebenso die Kleidung.
Ich kniete nieder und neigte mich zum Boden. Die Frau trug eine Krone und hatte den Haarschopf geknotet, so wie man es von den Yogis her kennt. Als ich meine Augen wieder zu ihr erhob, blickte sie mich ernst und fragend an. Es schien der Gedanke im Raum zu hängen, ob ich sie denn nicht erkennen würde. Ich schwieg ratlos, denn sie war mir unbekannt. "Ich bin Tara", sprach sie zu mir. "Du hast Dich entschieden den mystischen Weg des Yoga zu gehen, auf einem geheimnisvollen Weg des inneren Reisens, den Du in früheren Leben erlernt hast. Es ist ein guter Weg, den Du bislang nicht vollenden konntest. In diesem Leben wird es Dir gelingen, wenn Du unbeirrt Dein Ziel verfolgst. Deine Aufgabe ist es den Brunnen zu finden, dessen Wasser aus flüssigem Gold besteht."
"Wo kann ich diesen Brunnen finden", wollte ich fragen, doch die Göttin Tara und die Jurte waren verschwunden. Ich stand auf einem gewöhnlichem Grashügel und nicht weit entfernt stand mein Pferd. Überrascht blickte ich um mich, aber selbst die Mohnblumen waren verschwunden. Stille umgab mich und das Wogen der silbernen Gräser.