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Das Ich - Einheit oder Vielfalt?
(Gedanken und Spekulationen)

© copyright Alfred Ballabene, Wien



Unser Ich hat bei uns allen einen hohen Stellenwert, es ist sozusagen unser Heiligstes und wir haben es nicht gerne, wenn seine Integrität angetastet wird. In unserem Bestreben unserem Ich Bestand und Permanenz zu geben, übersehen wir oft, daß dieses Ich sich ständig ändert. Es unterliegt Stimmungen und dadurch treten Ausdrucksweise, aber auch Denken und Fühlen immer wieder anders in Erscheinung. Weiters ändert sich Bewußtsein und Selbstverständnis dadurch, daß wir dazulernen, älter werden und unser Ich reicher an Erfahrungen wird.

Auf die Veränderlichkeiten unserer Persönlichkeit hingewiesen werden wir antworten: "Ich ist eine unpräzise Ausdrucksweise, die sich landläufig eingebürgert hat, aber wenn es jemand schon so genau wissen will, so ist damit die Bewußtseinskontinuität gemeint, mit den Ressourcen an Wissen, Erfahrung, Gefühlen und Persönlichkeitsausdruck." Hiermit ist die Veränderlichkeit unseres Bewußtseins akzeptiert und die Betonung liegt nunmehr mehr auf Kontinuität und Einheit.

Die Kontinuität unseres Bewußtseins und von dem, was wir als Ich ansprechen ist jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung gegeben. Man kann in Erwägung stellen, ob sie noch vorhanden ist, wenn man etwas vergißt. Was wir vergessen ist gar nicht so wenig: es sind mitunter ganze Jahre, die nicht mehr in unserer Erinnerung aufscheinen, wenn wir z.B. an die Ereignisse unserer Kindheit denken. Aber eigentlich will ich die Kontinuität gar nicht anzweifeln und verpacke sie in dem Begriff "Seele", als eine Art Behälter, in dem auch Vergessenes usw. enthalten ist. Was ich jedoch einer näheren Betrachtung unterziehen will, ist die Einheit, die unserem Ich zugesprochen wird, etwas, worüber in der Regel nie diskutiert wird, weil es so selbstverständlich ist.

Wenden wir also der "unteilbaren Einheit des Ich" unsere Aufmerksamkeit zu. Zur besseren Übersicht gliedern wir unsere Betrachtung in drei Teile, wobei die "transzendenten Aspekte" nicht in dieser, sondern in einer anderen WWW-Seite besprochen werden.

I

C

H

Das Ich und unser biologischer Aufbau

Das Ich und die Psyche

Das Ich und die Transzendenz

I

C

H


Das Ich und unser biologischer Aufbau

Die bisymmetrische Struktur unseres Organismus

Werfen wir einen Blick auf unseren biologischen Aufbau in Hinblick auf die "Einheit und Unteilbarkeit unseres Ichs":

Gehirn:
Von der bisymmetrischen Bauweise des Gehirns her betrachtet, ist der Glaube an die Unteilbarkeit unseres Ichs bereits fragwürdig. Werden durch einen Schnitt durch den Balken die zwei Gehirnhälften getrennt, so ist es mit der Einheitlichkeit unseres Ichs vorbei: die rechte Seite hat das Empfinden, als ob die linke Seite einer anderen Person gehören würde. Was "diese andere Person" macht ist für die andere Seite nicht vorhersehbar und auch oft nicht verständlich. Die zweite Seite empfindet genau so.


Das Ich und die Psyche

Die Existenz einer zentralen Entscheidungsgewalt im Menschen ist eine biologische Notwendigkeit in Hinblick auf schnelle und eindeutige Reaktionen und Entscheidungsfindungen. Diese Entscheidungsgewalt ist es mit der wir uns identifizieren und die wir Ich nennen. Es ist eine Instanz, die auf eine Vielfalt von Funktionen zurückgreifen kann. Diese Entscheidungsinstanz ist die oberste Spitze einer Hierarchie von Funktionen. Verglichen mit sozialen Strukturen ist diese oberste Instanz kein bleibender Regent, sondern eine Art Präsident, der je nach Situationsbedarf aus der zweiten hierarchischen Ebene an die Spitze gewählt wird. In der zweiten Ebene existieren viele unterschiedliche "Pseudopersönlichkeiten" oder "latente Persönlichkeiten". Diese "Pseudopersönlichkeiten" verfügen bei einem gesunden Menschen zwar über alle allgemein zugänglichen Ressourcen, werden jedoch von einem bestimmten Muster an Verknüpfungen in Hinblick auf Gefühle, Denken, und Erinnerung dominiert. Dadurch kann sich je nach Situation das Erscheinungsbild der Person nach Bedarf ändern.

Nach obiger Auffassung ist die Entscheidungsgewalt in uns, die wir Ich nennen, kein organisches Gebilde, sondern eine Funktion. Als Funktion kann sie zufriedenstellend arbeiten oder auch gestört sein (z.B. bei Schizophrenen). Die Funktion besteht in der Zusammenarbeit verschiedener Gehirn-Areale, die ihre gespeicherten Erinnerungen zur Verfügung stellen. Da bei einem gesunden Menschen dem jeweils dominanten Persönlichkeitsaspekt alle cerebralen Resourcen zu Verfügung stehen, besteht zwar eine Variabilität des Erscheinungsbildes der Person, jedoch kein Bruch in der Bewußtseinskontinuität. Anders ist es bei psychisch kranken Menschen, wenn verschiedene Persönlichkeitsaspekte sich die informativen Resourcen aufteilen und anderen, konkurrierenden Persönlichkeitsaspekten verweigern. Wir haben es dann mit einer schizophrenen Persönlichkeitsspaltung zu tun und dem abwechselnden in Erscheinung Treten verschiedener "Persönlichkeiten". Eine solche Situation finden wir in dem "Klassiker", dem Bericht von Staudenmaier schön beschrieben:

In abgeschwächter Form gibt es auch bei gesunden Menschen eine größere Anzahl von Persönlichkeitsaspekten, die je nach Situation und Emotionalität anders empfinden und reagieren. Sie lösen einander beständig ab, je nach Bedarf und äußeren Umständen; sie sind nicht voneinander so scharf abgegrenzt wie bei Staudenmaier, sondern überlappen und haben schwimmende Übergänge. Je nachdem, ob der Vater mit seinem Kind spielt oder in der Firma als großer Boss in Erscheinung tritt, ist er ein jeweils anderer Mensch, der sich vollkommen in die situationsbedingte Form der Selbstdarstellung hineinlebt. In der Esoterik verwendet man hierfür den Begriff "Maske". Da diese Erscheinungsformen scheinbar nicht miteinander konkurrieren und eine Linearität der Ich-Identifikationen gegeben ist, wird die Einheitlichkeit des Ich nie in Frage gestellt.

Das Ich im Traum

In den Träumen beginnt die Einheitlichkeit der Person noch unschärfer zu werden als dies im Alltag der Fall ist. Die Identifikationen werden ausgeprägter. Während im Alltag die körperspezifischen Aspekte der Selbstbewertung unangetastet bleiben, wie zum Beispiel Alter, unabhängig von der "Maske", die der Mensch gerade trägt, beginnt auch dies im Traum zu verfließen und wir sind bisweilen Kind, manchmal jugendlich oder alt, groß oder klein, stark oder schwach.